Die Ehefrau des vietnamesischen Bürgerrechtlers Doan Viet Hat („Sacharow von Vietnam“) kämpfte zwanzig Jahre für seine Freiheit
FRANKFURT, April 1999
„Jetzt haben glücklichere Zeiten begonnen“, erklärt Tran Thi Thuc strahlend. Die Ehefrau ist nicht das erste Mal in Deutschland. Sie war bereits vor vier Jahren hier. Damals warb sie unter Spitzenpolitikern und in den deutschen Medien um Unterstützung für ihren Mann, von dem sie schon sechszehn Jahre Gefängnismauern trennten. Im vorigen September wurde er endlich freigelassen. Immer noch lächelnd, aber schon mit ernsterem Blick fügt sie hinzu: „Wir haben einen Alptraum durchlebt.“ Ein Traum dauert nächtens Stunden oder nur Minuten. Tran Thi Thucs Alptraum dauerte zwanzig Jahre, so lange war ihr Mann inhaftiert, während sie für seine Freilassung kämpfte.
Doan Viet Hoat ist zur Symbolfigur der Demokratiebewegung in Vietnam geworden. Er unterrichtete ab 1971 an der buddhistischen Universität Van Hanh in Saigon Pädagogik. In den Vereinigten Staaten hatte er in diesem Fach promoviert. Im August 1976 verhaftete ihn die kommunistische Polizei unter dem Vorwurf, im „Erziehungswesen spioniert“ zu haben, um die „vietnamesischen Hochschulen zu amerikanisieren“ und schließlich „die revolutionäre Regierung zu stürzen“. Er hatte im Kreis seiner Studenten und Freunde für die Idee der Menschenrechte geworben und war offen für deren Einhaltung eingetreten. Ohne einen Gerichtsprozess blieb er zwölf Jahre in Haft. Im Jahr 1988 wurde er freigelassen und zwei Jahre später – wegen Aufrufs zur Demokratisierung – für weitere acht Jahre eingesperrt. Tran Thi Thuc stand trotz der Diskriminierung, die sie und ihre drei Söhne traf, zu ihrem Mann. Sie wurde selbst für ein Jahr inhaftiert. In die Gefangenenlager brachte sie ihm Lebensmittel und schmuggelte, in der Gefahr, wieder verhaftet zu werden, seine Briefe und Appelle hinaus. Sie informierte die Medien und verwandte sich für ihren Mann in Briefen an die vietnamesische Regierung.
Die studierte Anglistik, die vor 1975 ebenfalls einen Lehrauftrag an der buddhistischen Universität hatte, durfte nicht weiter unterrichten. Um den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder zu verdienen, arbeitete sie als fliegende Händlerin in den Straßen von Saigon. Tagelange beschwerliche Reisen zu den Lagern, in denen ihre Mann inhaftiert war, nahm sie auf sich. Während seiner zweiten Haftzeit wurde Professor Doan Viet Hoat viermal verlegt, immer weiter von seiner Familie entfernt. Der Bürgerrechtler schrieb weiter Appelle und Artikel über die Situation der Menschenrechte in Vietnam. Seine Unterdrücker reagierten auf jede Veröffentlichung mit einer weiteren Verlegung. Nachdem er Anfang Januar 1994 einen Bericht für die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen verfaßt hatte, wurde er in ein Lager der nördlichen Provinz Nam Ha gebracht, 1.700 Kilometer von Saigon entfernt. Tran Thi Thuc erfuhr davon durch Angehörige seiner Mitgefangenen. Als sie ihn Ende April 1994 besuchen wollte, musste sie zusammen mit dem jüngsten ihrer drei Söhne zwei Tage lang im Zug anreisen und anschließend noch einen Tag auf einem Moped über eine unwegsame Strecke fahren. Für ihren Ehemann und Vater transportierten die beiden siebzehn Kilo Lebensmittel: Reis, Mais und lebende Hühner. Vor dem Gefangenenlager erfuhren sie, dass Dorn Viet Hoat wenige Tage zuvor wieder verlegt worden war. Er hatte in einem Brief an den vietnamesischen Premierminister gegen die Zwangsarbeit und die Umerziehungsmaßnahmen protestiert Protestiert. Der Dissident kam daraufhin für mehr als vier Jahre in Isolationshaft. Tran Thi Thuc und ihr Sohn reisten unbeirrt zu dem Lager, in das er neuerlich verlegt worden war. Dort erhielten sie aber weder eine Besuchserlaubnis noch durften sie ihre mitgebrachten Lebensmittel für ihn hinterlassen. Erst im September vergangenen Jahres wurde Dorn Viet Hoat freigelassen. Mit seiner Familie lebt er seitdem in den USA.
Kraft aus der Liebe
„Wie haben Sie die Haftzeit Ihres Mannes, von der Sie nie wissen konnten, wie lang sie noch dauert, durchstehen können? Woher haben Sie die Kraft genommen, sich so für ihn einzusetzen?“, frage ich. „Als wir uns an der Universität kennenlernten, waren mein Mann und ich bereits buddhistische Aktivisten. Bei der Hochzeit versprachen wir uns, Glück und Trauer zu teilen. Das habe ich immer gesagt, mit meinem Herzen, mit meinem Verstand. Erst einmal liebe ich ihn, dann liebe ich mein Land. Ich sagte mir, ich müßte in jedem Fall mein Bestes geben. Während der ersten Haftzeit meines Mannes war es schrecklich schwierig für uns, für die Frau eines politischen Gefangenen. Als er zum zweiten Mal verhaftet wurde, erhielten wir Unterstützung von der vietnamesischen Auslandsgemeinschaft und von Menschenrechtsorganisationen. Sie bestärkten mich auf meinem Weg. Manchmal fühlte ich mich sehr einsam, wissend, dass mein Mann im Gefängnis ist. Ich sagte mir aber, ich müßte mutig sein, um alles zu tun, was meinem Mann helfen kann. Das ist nicht nur die Mission einer Frau, sondern wir haben auch eine Tradition des Mutes in Vietnam. Ich schrieb über seinen Fall, ich betete. Ich versuchte mir vorzustellen, dass bessere Zeiten kommen würde. Aber meine psychische Verfassung war manchmal nicht so, wie sie hätte sein müssen. Es war eine harte Zeit für mich.“
Tran Thi Thuc war entschlossen, für ihren Mann, seine Ideale und ihre Kinder zu kämpfen. Mit ihrer Entschlossenheit ermöglichte sie den drei Söhne, die ebenso von der Diskriminierung betroffen waren, eine Zukunft. Mit bebender Stimme erzählt sie: „Als mein Mann im Gefängnis war, schickte ich die zwei älteren Kinder auf einem Fischerboot fort. Einen Sohn 1981 und den anderen 1984, im Alter von elf und dreizehn Jahren. Das war sehr riskant. Ich tat dies für ihre Zukunft, damit sie eine bessere Ausbildung besuchen konnten. In Vietnam hatten sie als Kinder eines politischen Gefangenen einen schlechten Ruf.“ Ein Onkel in Minnesota finanzierte ihre Ausbildung in den Vereinigten Staaten. Beide absolvierten dort das College, bis ihre Mutter mit dem jüngsten Bruder 1994 nachkam. „Ich habe versucht, meinen Kindern ein gutes Bild von ihrem Vater zu zeichnen, so dass sie genügend Selbstvertrauen gewinnen konnten., um aufzuwachsen. Ich habe ihnen gesagt, dass er aus politischen Gründen inhaftiert wurde. Dass er ein Professor, Vizepräsident der Universität war und respektiert wird.“Im Glauben an ihren Mann mobilisierte Tran Thi Thuc die Öffentlichkeit für ihn: In Vietnam, in den USA und in Europa. Allein auf Druck der Weltöffentlichkeit entließ ihn das vietnamesische Regime in die Freiheit. Sie setzte sich dafür über die traditionelle Rolle der „zurückhaltenden vietnamesischen Frau“ hinweg. „Was würden Sie den Frauen anderer politischer Häftlinge raten?“, möchte ich wissen. „Den Fragender Dissidenten, die mit meinem Mann inhaftiert wurden, sage ich immer, dass de die Wahrheit herauskommen muss, dass wir mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit gehen müssen.“
Erschienen in: Monika