Im Schatten des Patriarchen

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Jehan Sadat; Foto: Michaela Koller

Seit beinahe 30 Jahren kämpft Jehan Sadat für den Frieden in Nahost

KAIRO, 14. Oktober 2010

Der frühere ägyptische Staatspräsident Anwar al-Sadat bezahlte seinen Einsatz für den Frieden mit dem Leben: Seine Witwe, Jehan Sadat, wirkt trotz des Attentats vom 6.Oktober 1981 in seinem Sinne weiter. Zur Erinnerung: Sadat war der erste arabische Führer, der Israel nach jahrzehntelangem Kriegszustand anerkannte und mit dem jüdischen Staat 1979 Frieden schloss, ein tiefgläubiger muslimischer Realpolitiker, der einst im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaborierte. Für seine Bemühungen erhielt er zusammen mit seinem israelischen Counterpart Menachem Begin den Friedensnobelpreis. Es war die Terrorgruppe Al-Dschihad, eine Abspaltung der Al-Dschama-al-Islamija, die wiederum aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen war, die Sadat für sein Engagement mit dem Tod bestrafte.

Fast drei Jahrzehnte später widmet sich seine Witwe nach eigenem Bekunden privat am liebsten der Familie und ihren Gärten – vor allem dem in den Vereinigten Staaten, im Norden Virginias, nahe der Hauptstadt Washington D. C., wo sie seit Mitte der Achtzigerjahre ein Haus hat. Die Liebe zu den Blumen hat sie, so räumt sie ein, von ihrer englischen Mutter geerbt. Echte Freude zeigt sich in ihren Augen, als die einstige First Lady des bevölkerungsreichsten arabischen Landes in ihrer Kairoer Villa nahe des Nilufers gegenüber des Mahmoud-Khalil-Museums von einem Besucher einen rosa Gerberastrauß überreicht bekommt. Sofort lässt sie ihn ganz zentral im Eingangsbereich in eine opulente Vase stellen, vis-à-vis goldener Buddhastatuen.

Es ist dasselbe Haus, in dem noch immer ihre Erinnerungen zu jenem Tag zurückgehen, als sie ihren Ehemann das letzte Mal sah, wie er im Bad vor dem Spiegel stand und sich rasierte. „Ungefähr die Hälfte des Jahres verbringe ich in Kairo“, sagt die Tochter einer Engländerin und eines Ägypters. Ein Diener betritt durch die Schiebetür den Salon im Louis-seize-Stil und bringt Tee in bunten orientalischen Teegläsern und Wasser in Stielgläsern. Noch immer vermisst sie ihren Mann „schmerzlich“, bekennt Jehan Sadat offen vor aller Welt, etwa in ihrem neuesten Buch „Meine Hoffnung auf Frieden“, das im letzten Jahr auch auf Deutsch erschien, mit einem Vorwort von Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Sie berichtet darin, wie es ihr seit jenem Tag des Attentats bei der Militärparade ergangen ist und zeichnet noch einmal die großen Grundlinien ihres Lebens nach, die Themen, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der mittlerweile 77-Jährigen ziehen: der islamische Glaube, die Friedenspolitik und die Emanzipation der Frauen im Orient.

Jehan Sadat; Foto: Michaela Koller
Jehan Sadat (links); Foto: Michaela Koller

Bereits in ihrem 1987 erschienenen ersten Bestseller „Ich bin eine Frau aus Ägypten“ bekannte sie, dass sie noch bevor sie ins Teenageralter eintrat, tiefe Erfüllung in ihrer Religion empfand. Zugleich keimte aber, während der damaligen Zeit des britischen Protektorats, ihr ägyptischer Patriotismus in ihr auf. Ihre Vaterlandsliebe hatte nicht so sehr ihr ägyptischer Vater, der Chirurg Safwat Raouf, geweckt. Vielmehr war sie durch die ebenso leidenschaftliche Verehrung ihrer englischen Mutter, der Musiklehrerin Gladys Cotterill, zu deren Heimat gewachsen. „Wenn sie ihr Land so heiß und innig liebte, musste ich das Gleiche doch auch für das meine empfinden!“ Die Geschichten charismatischer Frauen zur Zeit von Religionsstifter Mohammed, für die sie sich als junges Mädchen begeisterte, sollten ihr Engagement für die Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten der Frauen in Ägypten beflügeln – unter orientalischen Vorzeichen, versteht sich.

Die frühe Begeisterung für ernsthafte Themen war eine ausgezeichnete Vorbereitung auf die Begegnung mit „ihrem Schicksal“, wie sie es einmal nannte, als sie 15 Jahre alt war. Vor Schreck glitschte ihr die Mangofrucht aus der Hand, als sie in der Küche ihrer Tante erfuhr, dass der Revolutionär Anwar al-Sadat gerade zu Besuch gekommen war. Der damals doppelt so alte Absolvent der Königlichen Militärakademie war schon ein landesweit bekannter Freiheitsheld gewesen, lebte aber in Scheidung und war bettelarm. Seine erste Familie konnte er nur dank der Wohltätigkeit der Moslembrüder über Wasser halten, mit denen es erst zur Zeit Gamal Abdel Nassers zum Bruch kommen sollte. Sadat blieb aber ein Leben lang dem islamischen Glauben tief verbunden.

Und noch heute liegt seiner Witwe sehr daran, der Welt den Unterschied zwischen islamischer Frömmigkeit und islamischem Fanatismus aufzuzeigen: „Glauben Sie mir, die Täter sind keine richtigen Muslime. Diese Männer verstehen ihre Religion nicht richtig“, sagt sie mit Blick auf den letzten spektakulären Mord an acht Christen zum koptischen Weihnachtsfest im Januar im oberägyptischen Nag Hammadi. Ohne lang zu überlegen, antwortet sie auf die Frage, ob Glaube und Vernunft zusammengehörten, mit fester Stimme: „Absolut, absolut.“ Ihrer persönlichen Auslegung des Islam gibt die einstige Schülerin eines christlichen Instituts in ihrem neuesten Buch zudem breiten Raum, ergänzt durch ein klares Bekenntnis zu ihrer Religion. „Vor einigen Jahren habe ich Hadsch gemacht und habe meine Familie mitgenommen“, berichtet Jehan Sadat, die zum Gespräch einen eleganten schwarzen Hosenanzug trägt, darunter eine weiße Bluse mit leger aufgeschlagenem Kragen. Auch bete sie fünfmal am Tag. „Und ich faste jetzt im Ramadan, ebenso wie meine Kinder und Enkel. Durch das Fasten fühlen wir, wie die Armen Hunger leiden.“ Sie beschränkten sich nicht nur beim Essen, vielmehr halte es sie auch davon ab, Schlechtes zu tun.

Das Frühstück vor Sonnenaufgang im Fastenmonat Ramadan verbringt sie hin und wieder mit Freunden, etwa bei der Politiker- und Unternehmerfamilie Abdel Hady aus Kairo. Die Verwurzelung in ihrer ägyptischen Heimat besteht nicht allein wegen der vier dort lebenden Kinder Gamal, Jehan, Noha und Lobna fort, auch ein Vierteljahrhundert nachdem sie sich ein Standbein in den USA mit einer akademischen Karriere gesichert hat.

Noch während der Präsidentschaft ihres Mannes hatte sie ein Studium an der Universität aufgenommen, das sie 1980 mit einem Master in Literaturwissenschaft an der Universität Kairo abschloss. Dann kam das Attentat und ein langes Tief folgte, das sie schließlich überwand: „Ich musste die Friedensbotschaft weitertragen, für die mein Mann sein Leben gelassen hatte.“ Nach der Promotion und einer ersten Lehrtätigkeit an der Universität Kairo wurde die Sadat-Witwe in die USA gerufen, wo sie sich als Dozentin bewährte und nun Wissenschaftlerin an der University of Maryland in College Park ist. Die Uni-Leitung richtete 1997 den Anwar-Sadat-Lehrstuhl für Frieden und Entwicklung ein, dessen Finanzierung durch eine Stiftung ab 1988 vorbereitet worden war. Die Einrichtung bringt israelische und arabische Studenten zusammen und überwindet die Kluft zwischen Wissenschaftlern und Politikern, um Sadats Vermächtnis weiterzuführen.

„Die Israelis sollten den Siedlungsbau einstellen, und die Palästinenser sollten es ernst meinen und sich zum Verhandeln hinsetzen und Israel anerkennen“, sagt sie. Auch wenn sie derzeit keinen Willen zum Frieden in Nahost erkennen könne, sei sie zuversichtlich, dass der Friede komme. „Ich hoffe das mein Leben lang, ich hoffe es, ich hoffe es.“ Auf die Rolle Teherans angesprochen, wo bis vor einigen Jahren noch eine Straße nach dem Mörder ihres Mannes benannt worden war, sagt sie: „Unglaublich, aber hoffentlich wird Achmadinedschad nicht mehr lange bleiben und wir bekommen einen vernünftigeren Führer im Iran.“

Die Bedrohung bestehe nicht nur für Israel, sondern auch für den gesamten Nahen Osten. „Teheran sagt, die Nuklearanlagen seien für zivile Zwecke, aber wer kann das glauben?“ Ihre gute Freundin Farah Diba jedenfalls nicht. Noch Ende Juli sagte sie, ihr 1980 in Kairo verstorbener Ehemann, Schah Mohammed Resa Pahlewi, habe die jetzige Situation vorausgesehen. Die Witwe des bei der iranischen Revolution 1979 gestürzten Schahs ist der Sadat-Familie spätestens seit 1979 verbunden, als den kaiserlichen Hoheiten in Ägypten Zuflucht gewährt wurde. Gerade Ende Juli waren Jehan Sadat und Farah Diba wieder gemeinsam an den Gräbern ihrer Männer in Kairo.

Die einstige Schahbanu zählte auch vor einigen Monaten zu den VIP-Gästen bei der Vernissage zur ersten Ausstellung von Jehan Sadats Gemälden unter dem Titel „Landschaften des Herzens von 1986 bis 2009“ in der Amerikanischen Universität in Kairo. In charakteristisch warmer Farbgebung zeigen die rund 50 Acrylgemälde Beobachtungen aus der Wirklichkeit zweier Welten, die – wie im Traum – ineinander übergehen. Feluken und Indian Summer verschmelzen darin und spiegeln die geistige Realität der Künstlerin wider – als Brückenbauerin zwischen Orient und Okzident.

Und beim Brückenbauen ist Jehan Sadat unermüdlich. Während andere schon das Wort „christlich-muslimischer Dialog“ nicht mehr hören können, betrachtet sie die bisherigen Begegnungen gerade einmal als ein Vorspiel. Für sie geht es jetzt erst los: „Die Religionsführer müssen verhandeln, von Angesicht zu Angesicht. Nur Slogans herunterzuspulen wird das Problem nicht lösen. Sie müssen sich an einen Tisch setzen. Sie müssen das machen wie Sadat und Begin“, lautet ihr Vorschlag in Erinnerung an die Verhandlungen von Camp David. „Wir benötigen viele solcher Zusammenkünfte, um den Menschen diese Positionen zu erklären, besonders den Ungebildeten und Analphabeten.“ Der Glaube an die Vernunft, an die Option für das Vernünftige, das ist wohl etwas, was sie nie aufgeben wird. Es ist das, was sie mit Ehemann Anwar al-Sadat für immer teilen wird.

Jehan Sadat: Meine Hoffnung auf Frieden. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 250 Seiten, 20 Euro.

Erschienen in: Rheinischer Merkur Nr. 41